Pressemitteilung, 27.11.2023
Begegnung auf der Gefühlsebene
RHEINGAU-TAUNUS Was brauchen Menschen mit Demenz im Pflegeheim? / Eva Masal stellt beim Netzwerktreffen Böhm-Konzept vor
Menschen haben Angst. Und im Alter wird die Angst oft größer. Unter anderem ist es die Angst, den Alltag körperlich und geistig nicht mehr bewältigen zu können, in ein Pflegeheim umziehen zu müssen – das sich noch nicht einmal leisten können – hilflos und abhängig zu werden, nicht mehr als Person mit individuellen Bedürfnissen wahrgenommen zu werden, sondern sich nur noch den Regeln einer Einrichtung unterordnen zu müssen.
Dass diese Ängste durchaus begründet sind, wurde schnell klar beim Erfahrungsaustausch im Rahmen des in diesem Jahr dritten Treffen des Netzwerks Demenz, zu dem Beate Heiler-Thomas und Petra Nägler-Daniel von der Alzheimer Gesellschaft Rheingau-Taunus zahlreiche Teilnehmer begrüßten. Alte Menschen sind unterversorgt. Die Angehörigen werden allein gelassen. Und die Situation wird nicht besser werden. Zu wenig Pflegekräfte und zu hohe Kosten führen dazu, dass immer mehr Heime schließen und das ohnehin knappe Angebot an Pflege- und Kurzzeitpflegeplätzen weiter schrumpfen wird. Für Menschen, die nicht „pflegeleicht“ sind, etwa mit einer Demenz und herausforderndem Verhalten, ist und wird es noch schwieriger, einen Platz zu finden.
Dass es trotzdem möglich ist, einen würdevollen Lebensabend in einem Pflegeheim zu verbringen, machte Eva Masal, die Leiterin des Vincenz von Paul-Hauses in Idstein, deutlich. Sie füllte das Thema des Nachmittags „Menschen mit Demenz im Pflegeheim“ mit Leben und sorgte trotz deprimierender Rahmenbedingungen für Hoffnungsfunken. Im Vinzenz von Paul-Haus wird schon viele Jahre mit dem psychobiographischen Pflegemodell nach Professor Erwin Böhm gearbeitet, das einen respektvollen und menschlichen Alltag ermöglichen kann. „Wenn die Haltung stimmt und das Team so hochmotiviert ist“, seien die handelnden Personen das A und O, wobei das nicht nur die Pflegekräfte betreffe. Auch der Haustechniker wird geschult und nicht zuletzt die Angehörigen müssen mitmachen, um die Biografie nicht nur mit Daten zu füllen, sondern auch mit der Wesensart des alten Menschen. Was löst welche Gefühle aus? Welche Strategien haben geholfen, um mit dem Leben fertig zu werden? Mit den Antworten wird es möglich, ihm individuell auf der Gefühlsebene zu begegnen, belebende Impulse zu setzen, gute Momente zu schaffen. „Wir würden viele verhaltensauffällige Menschen besser verstehen, wenn wir wüssten, was sie wirklich meinen und was sie bewegt“, zitierte Masal Professor Böhm, dem es um die „Wiederbelebung der Altersseele“ gehe. Einen Menschen mit Demenz so leben zu lassen, wie es ihm gut zu tun scheint, statt ständig dagegen zu arbeiten – auch wenn er beispielsweise nachts wach ist oder zu anderen Zeiten frühstücken möchte -, mache Vieles im Umgang einfacher. „Wir können kein Zuhause ersetzen“, sagte Eva Masal, „wir können es aber so heimelig wie möglich machen.“
Bleibt die Frage, warum nicht viel mehr Pflegeheime nach diesem Konzept arbeiten. „Am Anfang steht sicher ein Kraftakt“, sagte Masal, da müsse schon ein starker Impuls bei den Verantwortlichen sein, zumal die Fortbildung auch Geld koste. Vor diesem Hintergrund wünscht sich das Netzwerk Demenz, dass das Böhm-Konzept über den Träger CAP (Caritas) publik gemacht werde. Zudem sollte in der Ausbildung von Fachkräften in der Altenpflege das Thema Demenz stärker akzentuiert, die besondere Haltung gegenüber demenziell Erkrankten eingeübt werden, damit Demenz-Konzepte überhaupt gelebt werden können. Auch in allen medizinischen Berufen sollte hinreichend Wissen über demenzielle Erkrankungen vorhanden sein. In diesem Sinne müsse auch das Projekt Demenz Partner (Deutsche Alzheimer Gesellschaft) weiterhin vom Bund gefördert werden, das zuletzt kostenlose Schulungsmaterialien für Mitarbeiter in Pflegeheimen entwickelt hat, die nicht im pflegerischen Bereich tätig sind, wie etwas Hausmeister, Putzkräfte oder Verwaltungspersonal.
Wenn die stationäre Pflege wieder in der öffentlichen Hand, wenn Profit gedeckelt wäre, dann wäre die Chance auf genügend Pflege- und Kurzzeitpflegeplätze größer, ist das Netzwerk überzeugt. Bis es vielleicht mal so weit ist, könne aber jeder in seinem Wirkungskreis versuchen, den Weg für eine demenzsensiblere Pflege zu bereiten und kleine Hoffnungszeichen setzen. Konzepte von Vorreitern wie Erwin Böhm, Tom Kitwood oder der Expertenstandard Beziehungsgestaltung in der Pflege von Menschen mit Demenz liegen bereit.
Hintergrund
Die Alzheimer Gesellschaft Rheingau-Taunus bringt seit 2016 die verschiedensten Akteure der Region zusammen, um gemeinsam die Versorgung von Menschen mit Demenz zu verbessern. Das informelle Netzwerk soll einen offenen Erfahrungsaustausch fördern, Wissenstransfer ermöglichen und die Beziehung zwischen den Akteuren stärken. Eingeladen sind alle Interessierten: Angehörige, Erkrankte, professionell in der Pflege Tätige, Beratende, Akteure aus dem medizinischen Bereich und politisch Verantwortliche, Personen aus der Verwaltung, Ehrenamtliche und ganz besonders Akteure mit Entscheidungsbefugnissen in den Einrichtungen. Beim letzten Treffen am 22. November stand das Thema „Menschen mit Demenz im Pflegeheim“ auf der Tagesordnung.
Jährlich finden drei Netzwerktreffen und ein Fachtag Demenz statt. Außerdem kann ein Newsletter abonniert werden.