Am 19. Juli titelte der Wiesbadener Kurier: Deutschland erstes Demenzdorf in Niedernhausen? 

Grundsätzlich begrüßen wir es, dass im Rheingau-Taunus-Kreis alternative Wohnformen für Menschen mit einer demenziellen Erkrankung geschaffen werden sollen. Wir üben aber auch deutliche Kritik an der Herangehensweise.

Pressemitteilung vom 24. August 2023

„Demenzdorf“ in Niedernhausen

RHEINGAU-TAUNUS. „Nicht im Grundsatz, aber in der Art und Weise der geplanten Umsetzung kritikwürdig.“ So reagiert die Vorsitzende der Alzheimer Gesellschaft Rheingau-Taunus, Beate Heiler-Thomas, auf das Projekt des ASB Westhessen, das in der jüngsten Sitzung des Niedernhausener Sozial-, Umwelt- und Klimaausschusses vorgestellt wurde (Artikel im Wiesbadener Kurier am 19. Juli). Der ASB plant am Standort Lochmühle an der Landesstraße 3026 zwischen Oberseelbach und Niedernhausen auf dem Gelände der seit eineinhalb Jahren leerstehenden Flüchtlingsunterkunft ein sogenanntes „Demenzdorf“ zu bauen und zu betreiben.

Abgesehen davon, dass es sich hier nicht wie dargestellt um etwas ganz Neues handele – die erste Einrichtung dieser Art eröffnete 2014 in der Nähe von Hameln – sei der Begriff „Demenzdorf“ unsensibel gewählt. Heiler-Thomas: „Er wird der Tragik der Erkrankung nicht gerecht“. Dass der Fokus der Einrichtung nicht auf der Pflege liege, verkenne außerdem die Entwicklung dieser schweren Erkrankung, in der die Hilflosigkeit in allen Lebensbereichen des Alltags immer stärker zunehme. In diesem Sinne sei auch bedenklich, dass in erster Linie Alltagshelfer und Ehrenamtliche – von rund 70 ist die Rede –   das Projekt am Laufen halten sollen. „Soll das notwendige Personal möglichst günstig rekrutiert werden?“, fragt sie. „Was passiert mit Menschen, die schwerstpflegebedürftig werden?“ Unter anderem hierauf, so wünscht sie sich, wird es noch Antworten geben müssen.

Als Selbsthilfeorganisation ist es der Alzheimer Gesellschaft wichtig, Betroffene selbst zu Wort kommen zu lassen. So äußert Volkmar Schwabe aus Idstein herbe Kritik, bei dem eine leichte Form der Alzheimer-Demenz diagnostiziert wurde, ein direkt Betroffener also und Mitglied der Alzheimer Gesellschaft. Natürlich sei die Idee zu begrüßen, die ständig wachsende Zahl Erkrankter brauche vielfältige und viel mehr Hilfe. “Aber nicht in dieser Form und schon gar nicht mit diesem Terminus!“ Der Begriff „Demenzdorf“ stigmatisiere, grenze aus und erwecke den Anschein, als gäbe es Menschen mit Demenz, wie etwa Schwerbehinderte mit angeborener Behinderung. „Demenz ist aber eine Krankheit, die leider aufgrund des Älterwerdens immer mehr Menschen befällt.  Eine Krankheit, die behandelt werden kann, hoffentlich und vermutlich in naher Zukunft erfolgreicher als bisher.“ Fachlich richtig und weder diskriminierend noch ausgrenzend wäre die Formulierung „Eine Lebensgemeinschaft für Menschen, die an Demenz erkrankt sind“.  Man würde schließlich auch nicht von einem “Schwerbehinderten-Dorf” sprechen?

Bedenklich sei zudem der geplante Standort. Schwabe: „Die Lochmühle würde sich sicher hervorragend dafür eignen, wollte man aus welchen Gründen auch immer ‚auffällige Menschen‘ von der ‚Zivilisation‘ fernhalten, aufgrund der isolierten Lage aber nicht für Menschen, die gerade auf vielfältige soziale Kontakte dringend und therapeutisch angewiesen sind.“ Sein Fazit: „Eine im Grunde gute, sogar sehr gute Idee, droht sich aufgrund oberflächlicher und unfachlicher Umsetzungsplanung in ihr Gegenteil zu verkehren.“