Nach der Veranstaltung „Im Spannungsfeld zwischen Fremd- und Selbstbestimmung“, zu der wir am 19. Juli ins Kreishaus nach Bad Schwalbach eingeladen hatten, schreibt uns eine pflegende Angehörige nachfolgende Zeilen, die wir gerne veröffentlichen wollen. Wir danken an dieser Stelle außerdem Herrn Landrat Frank Kilian, unserem Schirmherren, der sich Zeit für ein Grußwort genommen hatte. Seine Worte haben uns noch einmal mehr bestärkt, weiterzumachen. Es muss noch viel getan werden für Menschen mit Demenz und ihre Angehörigen.
Als pflegende Angehörige, die schon ein paar Jahre im Einsatz ist, lernt man (unter anderem) Pragmatismus. Tun, was getan werden muss, rein praktisch und ohne große Überlegungen … manchmal hilft das, den Tag (und die Nacht) zu überstehen. Aber nicht immer ist diese Form der „Ersten Hilfe“ das Mittel der Wahl. Er fällt aus dem Bett – dann wird das Bettgitter hoch gestellt. Sie läuft ständig weg – dann wird die Tür abgeschlossen. Eine vermeintliche Logik, die nicht greift, wenn wir über Persönlichkeitsrechte, Selbstbestimmung und Würde nachdenken und diese Werte für uns wichtig sind. All das wollen wir unseren Angehörigen nicht nehmen. Fürsorge darf nicht fesseln – gewiss.
Die Referentin Benedicta Wendler, Diplom-Sozialpädagogin im Ruhestand und langjährige Heimleiterin in einer Einrichtung für Menschen mit Demenz, skizzierte das Spannungsfeld zwischen Fremd- und Selbstbestimmung, das je nach Situation – ambulante Pflege durch einen Pflegedienst, stationäre Pflege im Heim oder Pflege durch Angehörige zu Hause – ganz unterschiedlich Gestalt annehmen kann.
Ich habe gemischte Gefühle. Denke an meine Freundin, deren Mutter nachts stürzte und erst am Morgen vor dem Bett liegend entdeckt wurde – tot.
Ich denke aber auch an meine Nachbarin, die von ihrem Opa erzählte, der noch so fit war, übers Bettgitter klettern zu können, übel stürzte. Und dann – ohne Bettgitter – weich auf Matratzen vor dem Bett landete, wenn er mal wieder vor der Schwerkraft kapitulierte.
Und ich denke an die Mutter einer guten Bekannten, die im Pflegeheim untergebracht ist, und sich innerhalb weniger Monate zweimal den Arm gebrochen hat.
Ich denke auch an meine persönlichen Erfahrungen. Die Angst und Hilflosigkeit im Blick meiner Mutter, nachdem sie aus dem Bett gefallen war. Aber auch die Angst und Verständnislosigkeit im Blick meiner Mutter, als ich zu ihrer Sicherheit (und meiner Beruhigung) das Bettgitter hoch stellte. Was hat uns aus diesem Dilemma gerettet? Vertrauen! Über viele Jahre geübt, zu einer Zeit, als alle in der Familie noch jung und gesund waren. Meine Mutter hat mir in dieser Situation vertraut, nachdem ich mir immer wieder Zeit genommen und mit viel Geduld und Bildsprache einen Weg zu ihrem Bewusstsein gesucht und gefunden hatte. Ich weiß, dass das nicht immer funktioniert. Aber einen Versuch ist es wert.
Wie möchte ich behandelt werden, wenn ich alt und pflegebedürftig bin? Mit Respekt. Zweifelsohne. Und dazu gehört, dass ich die Möglichkeit habe, in meinem Leben zu bestimmen, wo es lang geht. Aber schön wäre es auch, jemanden zu haben, dem ich vertrauen kann, der mich kennt, weil wir uns viel Zeit zum Kennenlernen genommen haben. Wir sollten uns Zeit füreinander nehmen. Besonders da, wo Menschen auf Hilfe angewiesen sind. Und nicht erst dann, wenn es ums (Über-)Leben im hohen Alter geht.